zurück

Gefährdungsursachen

Die Ursachen, die zum Rückgang unserer heimischen Flora und Fauna führen, sind vielfältig, jedoch hinlänglich bekannt. Die Kombination dieser Faktoren führt in Summe zu einem starken Rückgang der Arten- und Individuenzahlen, so wie wir ihn aktuell erleben. Umso erstaunlicher ist, dass einige der wichtigsten Gefährdungsursachen weiterhin von vielen Institutionen, Naturschutzverbänden und Behörden nicht erkannt bzw. deren Relevanz für den Artenrückgang nicht korrekt eingeschätzt wird. Im Folgenden sollen daher die relevanten Rückgangsursachen in absteigender Wichtigkeit kurz dargestellt werden. Diese Einschätzung deckt sich mit der Meinung der meisten Artexperten in Baden-Württemberg, steht jedoch teilweise im Gegensatz zu den Aussagen wissenschaftlicher Einrichtungen, einschlägiger Naturschutzverbände und einiger Behörden. Die Gründe hierfür werden in einem Mangel an Artexperten mit ausreichend Freilanderfahrung und ökologischem Gesamtverständnis in o. g. Einrichtungen gesehen.

1. Landwirtschaftliche Intensivierung

Die Intensität der Landnutzung hat in Mitteleuropa im vergangenen Jahrhundert drastisch zugenommen. Beispielhaft seien die großen Acker- und Grünlandschläge, die Ausbringung von Flüssiggülle und Gärresten, der vielfache Schnitt von Grünland, der Verlust von kleinflächigen Randstrukturen und die übermäßige Verwendung von Pestiziden (z. B. Neonicotinoide) genannt. Innerhalb dieses Faktorenkomplexes sind mit Sicherheit die wichtigsten Ursachen für den Rückgang unserer heimischen Flora und Fauna zu suchen, was zahlreiche aktuelle Studien auch belegen. Ebenso komplex wie das Zusammenwirken dieser Faktoren sind die Gründe für diese Entwicklung. Neben einer fehlgeleiteten EU-Agrarförderung, die große, konventionell (intensiv) wirtschaftende Betriebe begünstigt, liegt die Verantwortung für diese Entwicklung auch bei jedem einzelnen Verbraucher. Denn durch den Konsum möglichst billiger Lebensmittel (v. a. Milch- und Fleischprodukte) wird diese Form der intensiven Landwirtschaft gefördert. Durch den Kauf naturverträglicher Lebensmittel mit entsprechenden Biosiegeln (auch hier gibt es teilweise starke Unterschiede in der Bedeutung und Naturschutzwertigkeit der einzelnen Siegel) kann jeder Einzelne bereits einen wichtigen Beitrag zum Natur- und Artenschutz leisten.

2. Nutzungsaufgabe von Grenzertragsstandorten

Dieser entscheidende Faktor wird überraschenderweise in vielen Studien zu den Rückgangsursachen der Insektenfauna nur marginal erwähnt oder sogar weitgehend ignoriert (u. a. auch von Naturschutzverbänden wie dem NABU). Dabei lässt sich über historische Luftbilder der Flächenverlust an mageren, artenreichen Lebensräumen wie Wacholderheiden, Halbtrockenrasen oder Streuwiesen sehr gut nachvollziehen. Für das Land Baden-Württemberg lassen sich flächendeckende historische Luftbilder aus dem Jahr 1968 über https://www.leo-bw.de/kartenbasierte-suche abrufen. Der Verlust der genannten Lebensräume im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts beträgt nach Aussage verschiedener Studien 95-98 %. Neben der Intensivierung dieser Standorte wurden viele Flächen vor allem in den 1950er-1970er-Jahren aufgeforstet oder fielen in jüngerer Zeit der Sukzession zum Opfer. Da dieser Fakt von verschiedenen Institutionen und Verbänden nicht erkannt wird, führt dies zu einer falschen Wahrnehmung der Rückgangsursachen in der Öffentlichkeit. Die Entnahme von Gehölzen ist daher weiterhin negativ belegt und wird häufig mit Naturfrevel gleichgesetzt. Dabei könnten Sukzessionen und Aufforstungen durch intensive Gehölzpflege wieder in großem Maßstab zurückgenommen und zu magerem Offenland entwickelt werden, was bei intensivierten Flächen aufgrund der bestehenden Nährstofflasten in den Böden deutlich schwieriger ist. Die finanzielle Fördergrundlage für diese Maßnahmen ist bereits vorhanden, allerdings stehen Bedenken auch innerhalb des Naturschutzes und gesetzliche Restriktionen (z. B. Waldgesetz) einer effektiven und flächenwirksamen Umsetzung entgegen. Hierzu ist ein umgehendes Umdenken bei wissenschaftlichen Einrichtungen, Behörden und Naturschutzverbänden unumgänglich. Für die Rücknahme von Aufforstungen ist zudem eine Änderung des Waldgesetzes notwendig, das sich auf mittlerweile völlig überholte Einschätzungen zur Gefährdung des Waldes in Baden-Württemberg beruft. Die Waldfläche in Deutschland nimmt seit Jahrzehnten zu, meist auf Kosten wertvoller Offenlandlebensräume.

3. Eutrophierung

Nährstoffeinträge (v. a. Stickstoff) führen zu wüchsigen Vegetationsbeständen, die stickstoffliebende Pflanzen begünstigen und magere, krautige Vegetation verdrängen. Die meisten bestandsgefährdeten Insektenarten sind jedoch auf lückige, niedrigwüchsige Strukturen angewiesen. Entscheidender Faktor ist hierbei ein geeignetes, meist warmes Mikroklima, das den immobilen bzw. wenig mobilen Eiern und Larven eine erfolgreiche Entwicklung ermöglicht. Die Einflussgröße dieses Faktors wird weiterhin stark unterschätzt und die Bedeutung von Nektarquellen und Blühflächen als Nährflächen für die Imagines deutlich überschätzt. Einträge gelangen nicht nur durch Düngung und Ausbringung von Gärresten direkt in unsere Umwelt, sondern auch als atmosphärische Nährstoffeinträge über Niederschläge. Direkte Düngung erhöht die Nährstoffverfügbarkeit und Produktivität auf den jeweiligen Flächen massiv, was zu artenarmen Vegetationsbeständen und zu mehrfacher Nutzung pro Jahr z. B. durch Mahd führt. Angrenzende Extensivflächen werden durch Ausschwemmung der Nährstoffe ebenfalls aufgedüngt. Atmosphärische Einträge sind aufgrund der Massentierhaltung, des weiterhin zunehmenden Verkehrsaufkommens und der Emissionen aus der Industrie teilweise um ein Vielfaches höher, als durch Nutzung wieder entzogen werden kann, was sukzessive zu einer Aufdüngung der Flächen führt. Besonders problematisch ist hierbei, dass diese Wirkungen flächendeckend sind. Sie führen zu einem stärkeren und schnelleren Wachstum der Vegetation, weshalb z. B. die naturschutzfachlich sehr wertvollen, jungen Brachen deutlich schneller ein ungünstiges Sukzessionsstadium erreichen als früher. Auch innerhalb des Waldes führen atmosphärische Nährstoffeinträge zu schnellerem Wachstum von Bäumen und Sträuchern, sodass naturschutzfachlich wertvolle Offenflächen innerhalb der Wälder (z. B. Kahlhiebe, Sturmwurfflächen) viel schneller zuwachsen als dies vor einigen Jahrzehnten noch der Fall war.

4. Veränderte Waldbewirtschaftung

Unter Artexperten gilt es mittlerweile als erwiesen, dass Mitteleuropa niemals flächig von "Urwäldern" bedeckt war. Anzunehmen ist stattdessen, dass es sich um eine halboffene Landschaft handelte, die durch zahlreiche große Pflanzenfresser offen gehalten wurde (Megaherbivorentheorie). Nach der letzten Eiszeit besiedelte der Mensch Mitteleuropa und rodete die gerade aufkommenden Wälder, sodass auch zu dieser Zeit kein "Urwald" existierte. Seitdem wurde der Wald immer intensiv genutzt, was zu sehr lichten Waldbeständen geführt hat. Viele Arten, die wir in heutiger Zeit als Offenlandarten ansehen, lebten damals in den Wäldern. Wurde in früherer Zeit das Vieh in die Wälder getrieben, dominierte nach dem Aufkommen der Stallhaltung die ebenfalls sehr lichte Waldbestände schaffende Nieder- und Mittelwaldbewirtschaftung. Bis in jüngere Zeit wurden vor allem durch Kahlhiebe Offenflächen innerhalb der Wälder geschaffen, die die Ansprüche zahlreicher Lichtwaldarten ebenfalls erfüllen konnten. Weitere weit verbreitete historische Waldnutzungen waren beispielsweise das Ausrechen von Laub und Streu als Futter und Einstreu, das Schneiteln von Bäumen zur Futtergewinnung sowie die Brennholznutzung bis in die steilsten und unzugänglichsten Lagen der Wälder. Es gab in Mitteleuropa im Prinzip keinen ungenutzten Wald, dementsprechend waren auch keine Arten an ihn angepasst. Mit der Einführung des naturnahen Waldbaus, u. a. auf Drängen von Naturschutzverbänden und -institutionen, begann der bis heute anhaltende Rückgang der Artenvielfalt im Wald. Diese Form des Waldbaus führt zu dichten, beschatteten Waldbeständen, die den meisten Waldarten, die aufgrund oben aufgezeigter Nutzungshistorie auf lichte Wälder angewiesen sind, keinen Lebensraum bieten. Es ist in diesem Zusammenhang unverständlich, dass führende Naturschutzverbände diese Form der Nutzung unterstützen. Auf Grundlage der Nutzungshistorie mitteleuropäischer Wälder stellt sich auch die Frage des Sinns und Nutzens von Bannwäldern, Prozessschutzflächen, Waldrefugien und Habitatbaumgruppen. Großflächige Prozessschutzgebiete, in denen eine ungelenkte Entwicklung etwa durch Brände, Borkenkäfer-Kalamitäten und natürlicherweise hohe Wildbestände gewährleistet ist, sind sicherlich vegetationskundlich und faunistisch interessant und kommen einer Naturlandschaft ohne Einfluss des Menschen zumindest nahe (allerdings fehlen wichtige große Pflanzenfresser). Dies ist jedoch bei Eindämmung von "Katastrophenereignissen" oder bei zu kleinflächiger Ausweisung stark zu bezweifeln, vor allem da Waldrefugien und Habitatbaumgruppen häufig in forstwirtschaftlich unrentablen Bereichen ausgewiesen werden, die auch sonst kaum genutzt würden. Diese forstwirtschaftlich unrentablen Bereiche sind jedoch gerade für auf lichte Wälder angewiesene Arten besonders interessant. Gleichzeitig können Waldrefugien das Eingreifen in (ehemals) lichte Waldbestände aus Artenschutzgründen deutlich erschweren oder gar verhindern. Ein gutes Beispiel hierfür sind die lichten Steppenheidewälder am Albtrauf, die Lebensräume von Elegans-Widderchen (Zygaena angelicae elegans), Bergkronwicken-Widderchen (Zygaena fausta), Berglaubsänger (Phylloscopus bonelli) und vielen weiteren, schutzbedürftigen Lichtwaldarten sind und die ohne Nutzung langsam aber stetig verdunkeln, bis sie als Habitate nicht mehr geeignet sind.

5. Klimawandel

Die Erwärmung und Atlantisierung des mitteleuropäischen Klimas ist unbestritten und seit etwa zwei Jahrzehnten deutlich fühlbar. Für Flora und Fauna sind dabei vor allem die warmen Winter sowie die Frühjahres- und Sommertrockenheit ein Problem. Viele an kontinentale Klimate (kalte Winter, heiße Sommer) angepasste Arten kommen offenbar mit den milden, häufig schneearmen bis -freien Wintern nicht zurecht. Für zahlreiche Amphibien- und Libellenarten ist dagegen die Frühjahres- und Sommertrockenheit problematisch. Sie können durch das frühzeitige Austrocknen von Gewässern ihre Reproduktion oder Entwicklung nicht abschließen, was bei zahlreichen Amphibienarten während der vergangenen trockenen Jahre bereits zu deutlichen Bestandsrückgängen geführt hat. Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch zahlreiche Beispiele von Arten (vor allem Heuschrecken und Libellen), die von der Klimaerwärmung eindeutig profitieren. Hierbei handelt es sich meist um eher ausbreitungsstarke und anpassungsfähige Arten, während bei spezialisierten Arten nur selten eine Ausbreitung zu beobachten ist. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die ehemals nur in Streuwiesen am Bodensee vorkommende Schiefkopfschrecke (Ruspolia nitidula), die nicht nur ihre Verbreitung, sondern auch das Spektrum der besiedelbaren Habitate deutlich erweitern konnte.

6. Siedlungs- und Straßenbau

Der Flächenfraß in Deutschland schreiet weiterhin mit fast ungebremster Geschwindigkeit voran. Besonders problematisch ist hierbei die Ausweisung von Industrie- und Wohngebieten in naturschutzfachlich sensiblen Bereichen. Letztere wurden während der letzten Jahre häufig mit Hilfe des Paragrafen 13b des Baugesetzbuches ohne ausreichende natur- und artenschutzrechtliche Prüfung durchgedrückt. Ein Armutszeugnis für das Bundesland Baden-Württemberg. Straßen, die aufgrund des sich weiterhin erhöhenden Verkehrsaufkommens notwendig werden, zerschneiden Lebensräume, die ohnehin nur noch als kleine Restflächen vorhanden sind. Vor allem für in Metapopulationen lebende Insektenarten (z. B. zahlreiche Tagfalterarten) kann dies das Aus für häufig bereits geschwächte Lokalvorkommen bedeuten, da der Austausch zwischen den Einzelvorkommen abbricht und Verluste durch ungünstige Witterungseinflüsse oder Nutzungen nicht mehr ausgeglichen werden können.

7. Weitere Gefährdungsursachen

Neben den genannten Hauptursachen existieren zahlreiche weitere Gründe für den Artenrückgang, die entweder auf kleinerer Ebene wirken oder noch nicht ausreichend erforscht sind. Der Mangel an fischfreien, besonnten Gewässern in der Landschaft, der letztlich auch mit dem Nutzungswandel in der Landwirtschaft (Wegfall von Brauchgewässern, Nivellierung von nassen Senken, Grundwasserabsenkung) zusammenhängt, ist ein großes Problem gerade für anspruchsvolle, gefährdete Amphibienarten. Stetig steigender Freizeitdruck mit einem abnehmenden Verständnis der Erholungssuchenden (v. a. Hundehalter) für ihre Umwelt kann ebenfalls Tierarten (z. B. zahlreiche Bodenbrüter) gefährden. Der Einfluss der Lichtverschmutzung durch Lichtemissionen auf nachtaktive Tierarten (z. B. Fledermäuse, Nachtfalter) ist noch weitgehend ungeklärt, eine negative Beeinflussung ist aber wahrscheinlich. Innerorts kann die zu beobachtende Tendenz zu sterilen, naturfernen Gärten ebenfalls zum allgemeinen Artenrückgang beitragen, auch wenn davon kaum bestandsgefährdete Arten betroffen sind. Problematisch ist auch die Sanierung und der Abriss alter Gebäude (z. B. aus Klimaschutzgründen), die häufig Wochenstuben von Fledermäusen oder Nistmöglichkeiten für zahlreiche Vogelarten bieten. Im Kapitel Schutz werden stichpunktartig die wichtigsten Gegenmaßnahmen zur Erhaltung und Förderung unserer heimischen Flora und Fauna dargestellt.

zurück